Archiv


Sachlich, konkret und doch sehr unterschiedlich


10.09.2015
Oberbürgermeisterwahl (Essen) - Drei Kandidaten und ihre Ziele

26.08.2015 I Drei Essener Oberbürgermeisterkandidaten stellten sich am 25. August den Fragen der Essener DGB-Gewerkschaften. Ihre Ziele und Meinungen in Kurzform zusammengefasst:
Dieter Hillebrand, Vorsitzender DGB Stadtverband Essen, hatte fünf Kandidaten der etablierten Parteien aus Essen eingeladen. Drei folgten der Einladung.

Hillebrand fragte konkret zum Arbeitsmarkt und den Finanzen der Stadt. Hier die Kernaussagen der drei Anwesenden:

Gönül Eğlence: Arbeiten wo die Menschen sind:

Hohe Arbeitslosigkeit und ein Nord-Südgefälle bestimmen den Arbeitsmarkt der Stadt Essen. Projekte wie die Jugendberatungsagentur in der Arbeitsvermittlung Essen sind Wege zum ersten Arbeitsmarkt. Eğlence meint: Arbeitsmarktbörsen fördern und suchen besondere Zugänge für kritische Zielgruppen, die bisher nicht erreicht werden. Besondere Unterstützung sollen ehrenamtliche Vereine wie die Paten für Arbeit erfahren.

Eğlence will Flüchtlinge schnell in Schulen und den Arbeitsmarkt integrieren. Dieses gelingt einerseits durch schnelle Anerkennung von Abschlüssen, andererseits durch den Zusammenschluss der Akteure im Arbeitsmarkt, wie Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kammern.

Eglence sieht starke Veränderungen von industriellen Strukturen. Dabei wird es Bereiche geben, die nicht zukunftsfähig sind. Nur durch Vermittlung unter verschiedenen Akteuren kann die Stadt sicherstellen, dass Förderung und Unterstützung zielgerichtet ankommt.

Stadtteilarbeit betrachtet sie als Schwerpunkt, denn im Stadtteil werden die Probleme am ehesten erfasst und beseitigt.

Finanzen und Schwerpunkte:
Als Studentin in dieser Stadt habe sie oft vor Engpassentscheidungen gestanden, wofür sie ihr Geld ausgibt. Das gelte auch für Essen, denn für alle Wünsche sei kein Geld da. Um effektiv zu sein, sollen in der Verwaltung die Beschäftigten entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden. Einen weiteren Blick will sie auf die Stadttöchter richten. Ein funktionierender ÖPNV soll über Stadtgrenzen funktionieren, die Uni Duisburg-Essen lebt es vor. Sie will Essen eine stärkere Stimme bei Bund und Land als stärkungspackt-Kommune geben.


Wolfgang Freye setzt auf Entwicklung:
Essen ist der 9. größte Industriestandort in der Bundesrepublik, der Beschäftigungsgrad liegt jedoch nur noch bei 18 %. Die Stadt hat zu stark auf Dienstleistung gesetzt. Der Dienstleistungssektor setzt zu sehr auf prekäre Beschäftigung, so dass viele Beschäftigte davon nicht leben können. Freye kritisiert, dass bei dem Masterplan zur Beschäftigung im Rahmen der Entwicklung Essen 2030 der DGB nicht beteiligt wurde. Die Stadt Berlin hat die Hinweise der DGB-Gewerkschaften aufgenommen.
 
Eine große Herausforderung wird die Digitalisierung im Arbeitsmarkt, unter dem Stichwort Industrie 4.0. Dortmund zeigt mit guten Beispielen, wie sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geschaffen werden kann, in dem Sozialleistungen in Arbeitsförderung umgewandelt wird. Schnelle Netze und den Freifunk will Freye fördern.

Finanzen und Schwerpunkte:
Essen ist reich, auch an Armut. 80.000 Menschen leben in Essen von Hartz IV. Freye setzt auf Förderung und nicht auf Sanktion. Hartz IV-Leistungen sind ein Minimum.

Die Städte im Ruhrgebiet befinden sich in einer Vergeblichkeitsfalle, mit drei Milliarden Schulden kann Essen alleine den Turnaround nicht stemmen. Der Bund muss sich mehr engagieren, um die Kommunen zu entlasten. Es gibt allerdings auch hausgemachte Probleme. Der Stadionneubau ist das eine, die Philharmonie das andere. Die Linken hatte früh genug den Verkauf der RWE Aktien gefordert, um den Haushalt zu entlasten. Das Gleiche gilt für die Schulden in Schweizer Franken. Die städtischen Gesellschaften sollten transparenter werden, die Aufsichtsräte gestärkt. Es gibt aus seiner Sicht zu viele städtische Gesellschaften in der Stadt, zu viele Geschäftsführer und zu viele Aufsichtsräte, die bezahlt werden.

Sport, Kultur und öffentlicher Nahverkehr genießen bei Freye Priorität, eine Kürzung will er hier ausschließen. Senioren sollen möglichst lange mobil in ihrem Stadtteil wohnen können. Durch Vorgaben bei der Stadtentwicklung kann das gesteuert werden.


Thomas Kufen: Den Arbeitsmarkt beleben:
2009 waren 33.000 Menschen arbeitslos gemeldet, 2015 waren es 2000 mehr, einen Steigerung gegen den Trend im Bundesgebiet. Von der Arbeitsmarktentwicklung hat die Bevölkerung der Stadt Essen nicht profitiert. Kufen will einen Masterplan Industrie, um industrielle Entwicklung und Arbeitsplätze zu fördern. Die Universitätsstadt Essen soll auch eine „Start-Up-Stadt“ werden, so dass gut ausgebildete Studenten auch eine Perspektive in Essen erhalten und nicht abwandern.

In der Gesundheitsförderung sind schon mehr als 45.000 Menschen beschäftigt. Das lässt sich als weiteres Zukunftsfeld ausbauen.


Finanzen und Schwerpunkte:
Jeder OB steht unter der Landesaufsicht der Finanzen und kann nur eingeschränkt handeln. Ab 2017 ist eine schwarze Null zu schaffen, diese Verpflichtung geht jeder ein, der gewählt wird. Die Sparerfolge der Stadt sind ein Verdienst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt, die diese Maßnahmen umgesetzt haben. Das stößt nun an Grenzen, denn der hohe Krankenstand zeigt, dass die Grenzen der Belastung erreicht sind. Kufen will eine verbesserte Gesprächskultur innerhalb der einzelnen Abteilungen schaffen. Betriebsbedingte Kündigungen sollten auch in städtischen Töchtern ausbleiben, sonst werden die Mitarbeiter für den Veränderungsprozess nicht gewonnen.

Industriepolitik hat mit Fläche und Verkehrsinfrastruktur zu tun. Die Wohnbebauung ist teilweise zu nah an die Industrieflächen herangerückt. Internetnetze lassen sich mit privaten Partnern ausbauen.

Die Jobcenter benötigen eine Reform. Die räumliche Situation ist neu zu gestalten, damit es für die Mitarbeiter sicher wird. Darüber hinaus sind auch die Aufstiegschancen zu verbessern, damit die Fluktuation gesenkt wird.

Der OB ist auch Vertreter der Erzieherinnen und muss ein offenes Ohr für die ihre Belange haben. Es ist wichtig, den Kita-Streit zu lösen, denn alle Seiten benötigen verlässliche Rahmenbedingungen. Allerdings werden höhere Entgelte auch teilweise zu höheren Elternbeiträgen führen.


Nach den kurzen Statements der Kandidaten stellten diese sich in einer Speed-Dating-Diskussion an drei Runden Tischen den Bürgern im Saal.
Amtsinhaber Reinhard Paß (SPD) und Christian Stratmann (FDP) waren ebenfalls eingeladen und hatten sich aus terminlichen Gründen entschuldigt.
Bericht: Alfons Rüther, IG Metall Essen